Buchkritik: Sarah Kuttner und der „Wachstumsschmerz“ einer Generation junger Erwachsener
Erschienen am 4.1.2012, Feuilleton, Augsburger Allgemeine Zeitung
Die Unterhaltung ist exemplarisch. Sie hätten ja wohl kaum etwas zu verlieren, sagt Florian. „Ich denke nicht“, sagt Luise. Es sei schließlich keine Ehe, die den beiden bevorstehe, oder, Gott bewahre: ein Kind! „Notfalls können wir es mit ein bisschen Aufwand innerhalb weniger Wochen wieder rückgängig machen.“ Sagt Luise. Nur nicht festlegen, heißt ihr einfaches Motto.
Luise, genannt Lu, und Florian, genannt Flo, sind ein Paar. Eigentlich wollen die Protagonisten in Sarah Kuttners neuem Roman „Wachstumsschmerz“ nur in eine gemeinsame Wohnung ziehen. Beide sind über 30, sie Herrenschneiderin, er Manager in einer Kletterhalle. Sie verdienen ihr eigenes Geld, kennen und lieben einander schon jahrelang. Nicht die schlechtesten Voraussetzungen fürs Zusammenziehen. Eigentlich.
Denn Lu und Flo befinden sich inmitten der Quarterlife-Crisis, jener Phase zwischen dem Ende der Jugend und dem innerlich akzeptierten Erwachsensein, die anscheinend immer öfter immer später auftritt. Die Stimme derer, die irgendwo im Dazwischen leben, ist die Zeitschrift Neon. Ihr Leitspruch „Eigentlich sollten wir erwachsen werden“ könnte auch Kuttners Roman bewerben, der mit seinem Thema den Zeitgeist trifft. Es ist eine Geschichte über große Themen wie Freiheit und Verantwortung, Liebe und Streit, Anspruch und Realität – leider streckenweise auf dem Niveau einer Castingshow: oberflächlich und emotionsgeschwängert.
Zusammenrücken, um sich zu entfernen
Die Geschichte des Romans ist schnell erzählt. Kuttner erzählt sie allerdings besonders langsam und über weite Strecken hinweg langatmig. Auf fast 300 Seiten stellt sie ein Ü-30-Paar vor, das festlegt, jetzt endlich erwachsen zu werden – wie vorherzusehen panisch ob der Entscheidung. Und schreibt, wie Lu und Flo bei ihrem Einzug aufgeregt und glücklich durch die Wohnung tanzen, sich im Folgenden aber langsam wieder voneinander entfernen. Wie die Geschichte am Ende ausgeht, ist ohnehin keine Überraschung: Bereits im Vorwort deutet die aufgekratzte Protagonistin an, wie fremd ihr die gemeinsame Wohnung einmal sein wird. In „Memos“, die zwischen den einzelnen Kapiteln stehen, sendet sie ihre melancholischen Gedanken an Flo.
Das Fehlen an Handlung übertüncht Sarah Kuttner mit inneren Monologen und teilweise befremdenden Sprachbildern. Nach ein paar Seiten ist die Ausdrucksweise der Ich-Erzählerin Lu nur noch anstrengend. Die Wohnung, die sie besichtigt, sei „eine ganz okaye“, sagt die 32-jährige Frau. „Richtig beschissene Wohnungsbesichtigungen fetzen.“ Oder: „In mir fühlt sich alles abgefuckt an.“ Solche Sätze. Nichts wird hinterfragt, bewertet oder analysiert.
Sarah Kuttner ist selbst Anfang 30. Der ehemaligen Viva- und MTV-Moderatorin gelang 2009 mit ihrem Debüt „Mängelexemplar“ ein Bestseller. Es war ein Buch über eine orientierungslose Mittzwanzigerin, für die das Leben ein Büffet zu sein scheint, der irgendwann aber das „fucking Event Depression“ dazwischenkommt.
Mit „Wachstumsschmerz“ gibt Sarah Kuttner den durcheinandergewirbelten Twentysomethings erneut Identifikationsfiguren. Trotz aller Schwächen gelingt es ihr immer wieder, den Leser zum Schmunzeln zu bringen, zum Nachdenken und Mitfühlen. Aber heißt das auch, dass ihr Buch ein „Prachtstück der Gegenwartsliteratur“, „ein großartiger zeitgenössischer Roman“ ist, wie einige Leser im Internet begeistert schreiben? Nee. Höchstens eine „ganz okaye“ Geschichte.
Ein Gedanke zu „Nur nicht festlegen“
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