Es riecht nach Kokosnuss und Tränen

Porträt: Einst Aussiedlerkind, heute beliebte Twitterin und Schriftstellerin: Alexandra Tobor gehört zu einer neuen Generation von Migranten, die selbstbewusst mit ihrer Geschichte umgehen

Erschienen am 15.9.2012, Feuilleton, Augsburger Allgemeine Zeitung

 

Es gibt viele Dinge, die Alexandra Tobor an Deutschland schätzt. Die Offenheit etwa, die Werte, die Vielfalt und das diskursive Bemühen um Gerechtigkeit. „Ola“ schätzte vor allem Barbiepuppen, Bärchenwurst und Pyjamas mit Mickey-Maus-Aufdruck. Alexandra ist Ola, nur 23 Jahre später. 23 Jahre, in denen aus einem achtjährigen polnischen Aussiedlerkind eine deutsche Frau geworden ist, die im Internet tausende Fans hat und deren Erstlingswerk es in kürzester Zeit auf die Spiegel-Bestsellerliste geschafft hat.

„Sitzen vier Polen im Auto“ heißt der etwas unglücklich betitelte Roman, in dem Alexandra Tobor ihre eigene Geschichte aus Kindersicht erzählt. Es ist ein komisches, trauriges, liebenswertes Buch; keine Autobiografie, aber doch stark von eigenen Erfahrungen geprägt. Als der Roman erschien, stellte ihn die 31-Jährige im Internet mit dem Satz vor: „Er ist sehr schön und riecht nach Kokosnuss und Tränen.“

Über Twitter die Literaturagentin kennengelernt

Das Netz hat Tobor überhaupt erst dazu gebracht, ein Buch zu schreiben – vor allem Twitter, dieses Mikroblogging-System, mit dem man kurze Texte veröffentlichen kann. Fast 19 500 Menschen sind es, die Alexandra Tobors tägliches „Gezwitscher“ lesen wollen: Gedanken, Gefühle, Gerede. Über Twitter hat sie ihre Agentin kennengelernt und, vor allem, ihren Freund. Seit Juni lebt Alexandra Tobor bei ihm in Augsburg. Sie hat ihr Soziologie-Studium in Marburg kurz vor dem Diplom geschmissen und ist ins kalte Wasser gesprungen, wie schon so oft. Alexandra Tobor hat viele Träume. Einer ist, vom Schreiben leben zu können.

Nur wer weiß, dass die große Frau mit den dunklen Haaren in Polen geboren ist, hört ihren Akzent. Tobor drückt sich gewählt aus, intellektuell. 1981, als sie mit Eltern und Bruder aussiedelte, „rausfuhr“, wie man sagte, beherrschte sie kein Wort der fremden Sprache.

Deutschland war immer Olas Traum gewesen, zumindest seitdem sie bei ihrer Oma ein dickes Buch namens QUELLE entdeckt hatte. Die Fotos von Kindern in bunten Strumpfhosen und Disney-Schlafanzügen weckten ihre kindliche Sehnsucht nach einer anderen Welt. Eine Welt, die die Familie 1989 nach der Fahrt im Fiat Polski erst einmal mit einem Aussiedlerlager in Hamm begrüßte, später einer Wohnung in Unna voll mit Gestank und Schimmelpilz. Alexandra Tobors 28 Romankapitel sind voll von eindrücklich beschriebenen Erinnerungen, schönen wie schlechten.

Bis die 31-Jährige bereit war, ihren Entwurf dem Ullstein-Verlag zu überlassen, zerschellten viele Mythen über den Schriftstelleralltag an der Realität. „Ich habe gedacht, dass Schreiben eine wahnsinnig romantische Sache ist“, erzählt Tobor, „dass die Ideen geflogen kommen und man nach ihnen greift wie nach einer Leckerei“. So war es nicht, natürlich. Alexandra Tobor musste Charaktere entwickeln, eine Dramaturgie, ein Konzept. Diese Art des Schreibens hatte nichts mit dem Verfassen einer pointierten Nachricht auf Twitter zu tun, die maximal 140 Zeichen enthalten darf.

Kein Multikulti-Klamauk, trotz des unglücklichen Titels

Dass der Roman in jener bekannten Ullstein-Reihe erschienen ist, die mit Jan Weilers Bestseller „Maria, ihm schmeckt’s nicht“ begann, dürfte zur Popularität von Tobors Erstlingswerk beigetragen haben – auch wenn sie mit einigen Verlagsentscheidungen nicht glücklich ist. Der Buchtitel etwa, der klingt wie der Anfang eines schlechten Witzes. Oder die Zusätze „Teutonische Abenteuer“ und „Goodbye, Polen!“. Natürlich habe sie selbst zugestimmt, dass ihr Buch in der Reihe erscheine. „Aber eigentlich passt es dort gar nicht hin.“ Ihre Geschichte solle gerade kein Multikulti-Klamauk sein, sondern ein Buch, das zum Denken anregt, Berührungspunkte schafft und neue Perspektiven auf Aussiedlerfamilien ermöglicht. „Sitzen vier Polen im Auto“ ist wohltuend reflektierend, klischeefrei, auch wenn manches dramaturgisch überzeichnet wirkt.

In etlichen Kapiteln erzählt Alexandra Tobor von den Schattenseiten des Migrantendaseins. In einem Ort mit Reihenhäuschen, Vorgärten und wenigen Ausländern sei es für sie schwer gewesen, Anschluss zu finden. Die Polenwitze-Welle Mitte der 90er hatten Ola belastet. Sie litt darunter, die falschen Klamotten und zu wenig Geld zu haben. Wenn sie daheim vorwurfsvoll berichtete, dass eine Mitschülerin eine Hose von Levi’s habe, konterte ihre Mutter: „Und du hast eine Hose von Sonderangebot.“

23 Jahre später ist diese Zeit des Außenseitertums weit weg. Alexandra Tobor zieht sich zwar immer noch oft zurück – freiwillig, wie sie betont – und schreibt anderen lieber, als sie zu treffen. „Ich bin kein Mensch, der von sich aus auf Leute zugeht“, nach neuen Kontakten sucht, die sie dann doch oft anstrengen, zumindest erst einmal. Es klingt nicht überheblich aus Alexandra Tobors Mund, nicht verzweifelt oder traurig. Eher so, als sei da ein Mensch, der mit sich und seinen Eigenheiten im Reinen ist.

Die Generation der neuen Deutschen

Heute sieht die 31-Jährige vor allem Vorteile in ihrem Migrationshintergrund. „Ich gehöre zu der Generation der neuen Deutschen“, sagt sie. Zu denen, die in Deutschland sozialisiert wurden, an der Gesellschaft teilnehmen und sie mitgestalten wollen, sich aber durch ihre Herkunft in zwei Welten zurechtfinden. Die „neuen Deutschen“ müssten sich längst nicht mehr als Außenseiter fühlen, meint Tobor. Ein Denken, das sie auch an andere junge Migranten weitergeben will.

Momentan schreibt Alexandra Tobor an einem Konzept für ihr zweites Buch. Es soll keine Fortsetzung des stark autobiografischen „Sitzen vier Polen im Auto“ werden, sondern eine Art Roadmovie, eine Erzählung über das Erwachsenwerden zwischen den Kulturen.

Alexandra Tobor: Sitzen vier Polen im Auto, Ullstein, 266 Seiten, 9,99 Euro. Blog und Twitter-Account sind erreichbar über www.alexandratobor.de

Ein Gedanke zu „Es riecht nach Kokosnuss und Tränen“

Kommentare sind geschlossen.